Vorsprung Frankfurt - Finalisten des Deutsche Börse Photography Foundation Prize stehen fest

Finalisten des Deutsche Börse Photography Foundation Prize stehen fest

Kunst
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Die Deutsche Börse Photography Foundation vergibt den 1996 ins Leben gerufenen und einflussreichen Preis jährlich in Partnerschaft mit der Photographers' Gallery in London.

Mit dem Preis werden Künstler*innen und Projekte ausgezeichnet, die in den vergangenen 12 Monaten den bedeutendsten Beitrag zur Fotografie geleistet haben. In seiner 26-jährigen Geschichte ist der Prize zu einer der international renommiertesten Auszeichnungen für Fotograf*innen geworden. Zugleich ist er ein wichtiger Wegweiser für die Entwicklungen des Mediums Fotografie. Er ehrt herausragende, innovative und kritische Arbeiten, die die Grenzen des fotografischen Mediums erweitern und dessen Einfluss und Relevanz als kulturelle Kraft deutlich machen.

Die diesjährige Shortlist bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme: Die ausgewählten Künstler*innen verfolgen unterschiedlichste Ansätze des visuellen Geschichtenerzählens. Sie beschäftigen sich allesamt mit einigen der dringlichsten Fragen unserer Zeit. Trotz der vielfältigen Perspektiven (generationenbezogen, geografisch, ethnisch und kulturell) und künstlerischen Strategien gibt es elementare Gemeinsamkeiten. Sie zeigen alle ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Gegenwart, historische Belastungen, die Problematik des Vermächtnisses und der Sprache sowie für die Verantwortung, sich in Bezug zum jeweiligen Thema mit dem eigenen Standpunkt auseinanderzusetzen.

Die Ausstellung der Finalist*innen wird vom 25. März bis 12. Juni 2022 in der Photographers’ Gallery, London, zu sehen sein. Im Anschluss daran tourt die Ausstellung zur Konzernzentrale der Deutschen Börse nach Frankfurt/Eschborn und kann dort ab dem 30. Juni 2022 besucht werden.

Der*die Gewinner*in der Auszeichnung wird im Rahmen einer Preisverleihung am 12. Mai 2022 in der Photographers’ Gallery, London, bekanntgegeben und erhält 30.000 £ als Preisgeld. Die anderen drei Finalist*innen erhalten jeweils 5.000 £ – eine Erhöhung gegenüber den Vorjahren, als das Preisgeld bei 3.000 £ lag.

Weitere Informationen zur Prize-Ausstellung und zur Verleihung werden im Laufe des Jahres 2022 bekanntgegeben. 

Die Finalist*innen 2022 und ihre Projekte sind:

Deana Lawson wurde für ihre Ausstellung „Centropy“ in der Kunsthalle Basel (9. Juni bis 11. Oktober 2020) ausgewählt.

„Centropy“ zeigt großformatige Fotografien aus den Jahren 2013 bis 2020, 16mm-Filme, Hologramme und Bergkristalle, die als dichtes Ensemble Direktheit und Immanenz vermitteln. Deana Lawson (*1979, Rochester, New York) beschwört die Sprache des typischen Fotoalbums und des kunsthistorischen Meisterwerks in sorgfältig choreografierten Porträts herauf, die zugleich intim wie malerisch anmuten. Ihre üppig ausgestatteten Privaträume sind mit Details ausgestattet, die unheimlich anmuten. Dazu gehören sich lösende Tapeten und abgenutzte Schlafcouches, aber auch die beunruhigende Anwesenheit von Devotionalien und dem, was die Künstlerin als „Portale“ bezeichnet. „Ich versuche eigentlich, das Reich des Mythischen abzubilden“, erklärt Lawson, „eine Person als Vehikel zu benutzen, um ein Wesen jenseits dessen darzustellen, was tatsächlich vorhanden ist.“

Gilles Peress wurde für seine 2021 im Steidl Verlag erschienene Publikation „Whatever You Say, Say Nothing“ ausgewählt.

Gilles Peress (*1946, Neuilly-sur-Seine, France) reiste erstmals in den 1970er Jahren nach Nordirland: 1971 nach der Wiedereinführung von Internierungen durch die Regierung und 1972 vor und während des Massakers am „Bloody Sunday“. In den 1980er Jahren kehrte er mit der Absicht zurück, den scheinbar unlösbaren Konflikt durch das Ausloten der Grenzen von visueller Sprache zu erfassen und zu verstehen. Die daraus resultierende Publikation „Whatever You Say, Say Nothing“ ist in ihrer Komplexität ein herausragendes Werk. Auf 2.000 Seiten – zwei Bildbänden und einem begleitenden Almanach mit Kontextmaterial – legt Peress eine „dokumentarische Fiktion“ vor. Ein fotografiertes Jahrzehnt wird in 22 „halb-fiktive Tage“ gegliedert: Tage des Kampfes, Tage der Internierung, Tage des Doppelkreuzes, aber auch Tage, an denen gar nichts passiert … langweilige Tage, Tage, die nie aufhören. „Whatever You Say, Say Nothing“ umreißt präzise die spiralförmige Struktur der Geschichte, „wo heute nicht nur heute ist, sondern alle Tage wie heute“. Es beschreibt Existenz und Erfahrung in einem Raum, der durch wiederkehrende Gewalt ritualisiert wird, und strebt gleichzeitig nach der ungezähmten Natur der Fotografie im Niemandsland, jenseits der anerkannten Formen.

Jo Ractliffe wurde für ihre 2021 bei Steidl/The Walther Collection erschienene Publikation „Photographs 1980s – now“ ausgewählt.

Über mehr als drei Jahrzehnte hat die südafrikanische Fotografin Jo Ractliffe (*1961, Kapstadt, Südafrika) ihr Objektiv auf die Landschaft ihrer Heimat gerichtet. Ihr nominiertes Projekt, die umfassende Monografie „Photographs 1980s – now“, umfasst wichtige Fotoreportagen, frühe Arbeiten und erst jüngst veröffentlichte Bilder, die voller literarischer Bezüge stecken. Chronologisch präsentiert und eingeleitet durch persönliche, fast an Tagebucheinträge erinnernde Texte der Künstlerin, zeugen Ractliffes Bilder von den Verwicklungen eines Landes, das ebenso von der Gewalt der Apartheid gezeichnet ist wie von den Folgen des Bürgerkriegs im benachbarten Angola. Diese rauen, schonungslosen Bilder unterscheiden sich von sozialdokumentarischer Fotografie: Ractliffe zieht es eher zu einer leisen Poetik als zur unmittelbar politischen Ansprache. Ausgemusterte Militärvorposten, provisorische Behausungen, die von streunenden Hunden heimgesucht werden – ihre unverwechselbare Bildsprache ist von Trostlosigkeit und Abwesenheit gekennzeichnet. Als Schauplätze von Massakern, Zwangsabschiebungen und Gewalt sind diese Bilder jedoch weder still noch leer. Man findet in „Photographs 1980s – now“ wiederkehrende charakteristische Stilmittel: filmstreifenartige Sequenzen etwa, die Beobachtung des Lebens – oder seines Fehlens – von der offenen Straße aus sowie das wiederholte Verwenden von Plastik- und Spielzeugkameras. Obwohl Schwarz-Weiß-Bilder überwiegen, existieren auch bedeutsame Streifzüge in die Farbfotografie und Experimente mit Fotomontage und Video.

Anastasia Samoylova wurde für ihre Ausstellung „FloodZone“ am Multimedia Art Museum, Moskau (8. Juni bis 28. Juli 2021) ausgewählt.

„FloodZone“ ist eine umfangreiche und fortlaufende fotografische Serie, die sich mit den Umweltveränderungen in den Küstenstädten Amerikas – insbesondere in Florida – auseinandersetzt, wo die Künstlerin seit 2016 lebt. Anastasia Samoylova (*1984, Moskau, Russland) bewegt sich hier an Orten zwischen Paradies und Katastrophe; ihre Aufzeichnungen der Klimakrise sind jedoch weniger unmittelbare Reportage als lyrische Beschwörung. Die Farbpalette reicht dabei von tropisch bis pastellig-schön, kennt aber auch die Gefahr – Verwesung, Abnutzung und Zerfall. Samoylovas besonderes Augenmerk liegt auf der Verbreitung einer ambitionierten Metaphorik, die die offizielle Ikonografie der Region bildet, jedoch in krassem Gegensatz zu den Realitäten der sich immer weiter ausbreitenden Umweltkatastrophe steht. Von Luftaufnahmen, die etwas von der durchtränkten Topografie vermitteln, bis hin zu Nahaufnahmen von Architektur, vertriebener Tierwelt und unverwüstlicher Flora fängt Samoylova die „verführerische und zerstörerische Dissonanz“ einer Gegend ein, die massiv in ihr eigenes Image und ihren sonnigen Zauber investiert hat, während sie gleichzeitig in zunehmend bedrohlichem Ausmaß vom steigenden Meeresspiegel, von Sturmfluten und Küstenerosion – allesamt durch den Klimawandel hervorgerufen – betroffen ist.

Die Jury und ihre Begründungen 2022

Die diesjährige Jury setzt sich zusammen aus: Yto Barrada, Künstlerin, Jessica Dimson, Stellvertretende Direktorin für Fotografie des New York Times Magazine, Yasufumi Nakamori, Leitender Kurator für Internationale Kunst (Fotografie) an der Tate Modern, Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation, sowie Brett Rogers, OBE, Direktorin der Photographers’ Gallery, als stimmberechtigte Vorsitzende.

Brett Rogers, Direktorin, The Photographers’ Gallery:

„Die Arbeiten der diesjährigen Finalist*innen behandeln Themen, die nicht nur die unmittelbare Gegenwart widerspiegeln, in der wir leben, sondern auch das enorme Gewicht und die Verantwortung der Geschichte. Dabei sind zwei unterschiedliche Perspektiven vertreten: Die Perspektive einer jüngeren Generation (Deana Lawson und Anastasia Samoylova), die erst seit kurzem durch die besondere Art und Weise, in der sie das Medium nutzt, um aktuelle Sachverhalte zu hinterfragen und zu erforschen, großen Eindruck in der Welt der Fotografie hinterlassen hat, und die einer älteren Generation (Gilles Peress und Jo Ractliffe), die sich seit mehr als 30 oder 40 Jahren sowohl mit einem Thema als auch dem Medium beschäftigt. Trotz der erschütternden Themen, die ihren Werken zugrunde liegen (der Nordirland-Konflikt, die Rolle des schwarzen Körpers in der visuellen Kultur, die Auswirkungen des Klimawandels in Florida oder das Trauma des Post-Apartheid-Afrika), gelingt es jedem und jeder von ihnen, Momente der Erleuchtung oder Enthüllung zu vermitteln. Insgesamt zeigt die diesjährige Shortlist, dass Künstler*innen selbst in der Ungewissheit der gegenwärtigen globalen Situation immer noch Wege finden, verborgene Wahrheiten aufzudecken und uns dazu zu bringen, die Welt neu zu betrachten – ein Zeugnis für die Fähigkeit der Fotografie, uns unschätzbare Möglichkeiten aufzuzeigen, unsere Perspektiven zu prüfen und zu überdenken.“

Anne-Marie Beckmann, Direktorin der Deutsche Börse Photography Foundation:

„Jedes Jahr stehen wir vor der nahezu unmöglichen Aufgabe, vier Künstler*innen und Projekte für die Shortlist des Prize zu bestimmen. Das erinnert mich immer wieder aufs Neue daran, dass die Fotografie nicht nur außergewöhnlich darin ist, eine große Bandbreite an Herangehensweisen und Perspektiven aufzuzeigen, sondern auch die einzigartige Fähigkeit besitzt, vielfältige, leidenschaftliche und wichtige Debatten auszulösen. Die diesjährige Jurysitzung war hinsichtlich der Quantität und Qualität der Diskussion besonders bemerkenswert. Sie ließ uns nicht nur über die Vorzüge der einzelnen Projekte nachdenken, sondern auch über das Wesen, die Bedeutung und den Stellenwert der Fotografie in dieser speziellen und eigenartigen Zeit. Ich denke, das hat uns alle in unserem Glauben an den eigentlichen Wert dieses Mediums bestärkt und damit auch in unserem Glauben an diesen Preis, der die Fotografie weiterhin in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stellt und ihre gesellschaftliche, politische und kreative Bedeutung fördert. Es ist ein großes Privileg, daran mitzuwirken und erneut eine engere Auswahl an Künstler*innen präsentieren zu können, die auf so interessante und unterschiedliche Weise mit Fotografie arbeiten und eine solche Tiefe an Themen und Perspektiven bieten.“



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