Vorsprung Frankfurt - Die Spielzeit 2021/22 am Schauspiel Frankfurt

Die Spielzeit 2021/22 ist eine besondere, da sie einerseits lange geplant und andererseits kurzfristigen Änderungen unterworfen war und ist. Flexibilität und Offenheit waren hierfür wichtig. Zuversichtlich sieht das Schauspiel Frankfurt einer Öffnung für die Zuschauer:innen entgegen. Inhaltlich tritt es weiterhin dafür ein, was in den Zeiten der Pandemie vielleicht wichtiger denn je erscheint: Für die Verteidigung einer offenen Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus war Schwerpunktthema der Spielzeit 2020/21. Während viele der geplanten Veranstaltungen digital stattfanden, mussten andere Spielplanpositionen pandemiebedingt verschoben werden. Das Thema wird den Spielplan künstlerisch wie inhaltlich auch in der kommenden Spielzeit mit Inszenierungen wie »Nach Mitternacht« von Irmgard Keun oder George Taboris »Die Goldberg-Variationen« durchziehen.

Eine weitere Grundsäule des Spielplans betrifft einen anderen gesellschaftspolitischen Aspekt, den die Pandemie verschärft hat: Es geht um Prozesse von Beteiligung und Teilhabe. Die digitale Kommunikation während des letzten Jahres hat einige Menschen vernetzt und andere abgehängt. Oft scheitert ein produktiver Austausch im Netz oder der Diskurs mündet in radikaler Ausgrenzung. Teilen hat hier immer weniger mit Teilhabe zu tun, sondern damit, wie man Seiten aufteilt und die eigene Reichweite vergrößert.

Welche Funktion übernehmen Theater in diesen Zeiten? Theater können dieses System von außen im Innern befragen, umspielen, oder einfach am grundsätzlich Menschlichen rütteln. Im (Theater-) Spiel können Menschen Welten erträumen. Sie können Bekanntes fallen lassen und Unbekanntes improvisierend erkunden. Es ist ein Teilen von Erfahrungen, von Erinnerungen und Perspektiven – von Dingen, die durch das Teilen nicht weniger, sondern mehr werden. Der Gedanke des Teilens steht programmatisch über der neuen Spielzeit – um Erfahrungen zu teilen und möglichst bald wieder Erlebnisse, Teilhabe möglich zu machen und Teile der Gegenwart immer wieder neu zu betrachten. Das Projekt »SHARE!« im Bockenheimer Depot wird diese Gedanken von Teilhabe und Öffnung konkret umzusetzen versuchen.

Dem Aspekt des Teilens steht das pandemische Phänomen der Vereinzelung gegenüber. Das Spannungsfeld zwischen Privatem und der Öffentlichkeit bzw. dem Privaten, das politisch geworden ist, und das sich je nach ökonomischer, familiärer und beruflicher Situation individuell gestaltet, ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Spielplans. An dieser Stelle setzen in der neuen Spielzeit gleich mehrere Spielplanpositionen an: etwa Kleists »Michael Kohlhaas«, Elfriede Jelineks »LÄRM. BLINDES SEHEN. BLINDE SEHEN!« oder Luis Buñuels »Der diskrete Charme der Bourgeoisie«.

In der Spielzeit 2021/22 werden von 13 Frauen, 8 Männern und einem Team insgesamt 22 Premieren gezeigt, davon sechs Uraufführungen und eine Deutschsprachige Erstaufführung.

DER SPIELPLAN

Zum Auftakt der Spielzeit 2021/22 zeigt Regisseur Jan-Christoph Gockel eine Bearbeitung von Upton Sinclairs Roman »Öl!«, der unter dem Titel »There Will Be Blood« verfilmt und bekannt wurde.

Mit Heinrich von Kleists wohl bekanntester Erzählung und der Figur eines Privatmanns, der zum politisch Handelnden, zum Rächer wird und dabei auch Unrecht schafft, kehrt Felicitas Brucker nach »Die Ratten« nun mit »Michael Kohlhaas« zurück nach Frankfurt und ins Schauspielhaus.

Elfriede Jelineks Text »LÄRM.BLINDES SEHEN.BLINDE SEHEN!« ist eine Abrechnung mit flexiblen Wahrheiten und kruden Verschwörungsmärchen. Der Theaterregisseur und Intendant des Schauspiel Köln Stefan Bachmann wird in Frankfurt zum ersten Mal inszenieren und Jelineks Stück auf die große Bühne bringen.

Claudia Bauer, die mit »Mephisto« die laufende Spielzeit im Rahmen des Themenschwerpunkts »Antisemitismus/Rassismus« eröffnete, adaptiert mit »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« Luis Buñuels schonungslose und schalkhafte Abrechnung mit dem Großbürgertum.

Die international arbeitende slowenische Regisseurin Mateja Koležnik kehrt nach Frankfurt zurück. Sie ist für ihre präzise, tänzerisch leichte und sinnliche Bildersprache bekannt, die ihre Kraft nicht allein aus der Form, sondern auch aus der akribisch erforschten Seelenwelt der Figuren erlangt. Sie wird im Januar 2022 »Hedda Gabler« von Henrik Ibsen inszenieren.

Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Schließung des Theaters seit 2. November 2020 konnte Mateja Koležniks fertig geprobte Inszenierung von »Yvonne, die Burgunderprinzessin« von Witold Gombrowicz im Januar 2021 nicht zur Aufführung gebracht werden. Die Premiere wird daher auf die neue Spielzeit 2021/22 verlegt. Die Schließung betraf auch Lisa Nielebocks für die Bühne neu bearbeitete Fassung von Goethes »Die Wahlverwandtschaften« wenige Tage vor dem geplanten Premierentermin. Die Premiere wird im April 2022 nachgeholt. Joseph Roths »Hiob« in der Inszenierung von Johanna Wehner konnte ebenfalls nicht in der laufenden Spielzeit gezeigt und auch nicht geprobt werden. Die musikalische Produktion mit der Musik von Daniel Kahn kommt im Mai 2022 im Schauspielhaus auf die Bühne.

Der kluge Wickie ist seit Jahrzehnten bekannt durch die Zeichentrickserie des ZDF. Die literarische Vorlage waren die Kinderbücher des schwedischen Schriftstellers Runer Jonsson, der 1965 dafür den Deutschen Jugendbuchpreis erhielt. In der Vorweihnachtszeit zeigt das Schauspiel Frankfurt die Premiere der Bühnenfassung von »Wickie und die starken Männer«.

Alexander Eisenach brachte in Frankfurt bereits mehrfach an ein bestimmtes Genre angelehnte Theaterinszenierungen zur Aufführung. Nach Western (»Der kalte Hauch des Geldes«) und Science-Fiction (»Eternal Peace«) folgt mit »Der große Kunstraub (DGKR)« im Bockenheimer Depot erneut eine Stückentwicklung, die das filmische Genre als Sprungbrett ins Jetzt benutzen wird. 

In den Kammerspielen stehen mit vier Uraufführungen und einer Deutschsprachigen Erstaufführung wieder zeitgenössische Autor:innen im Mittelpunkt.
»Nach Mitternacht« ist Irmgard Keuns großer Frankfurt-Roman, den sie 1936 im Exil veröffentlichte. Die bitterböse Schilderung des Alltags im Nationalsozialismus wird inszeniert von Barbara Bürk, die in Frankfurt in der Spielzeit 2019/20 »Am Südhang« auf die Bühne brachte.

Um 392 v. Chr. schrieb der griechische Dichter Aristophanes seine Komödie »Frauenvolksversammlung«, in der als Männer verkleidete Frauen im Parlament kurzerhand das Patriarchat abschaffen. Die mehrfach ausgezeichnete österreichische Autorin Gerhild Steinbuch begibt sich mit ihrer Überschreibung der antiken Komödie auf Spurensuche nach einer Welt vor oder zwischen den herrschaftlichen, gewalttätigen Bildern. Nach ihrer Inszenierung von Else Lasker-Schülers »IchundIch« kehrt Christina Tscharyiski mit Gerhild Steinbuchs neuem Stück nach Frankfurt zurück.

Lustig, brutal und aberwitzig erzählt Nis-Momme Stockmann in »Das Gesicht des Bösen« von einer Fahrstuhlfahrt in die oberste Etage des Kapitals. Sprachgewaltig zeigt er darin die Schrecken und Abgründe der Finanzwelt auf und erzählt von Menschen, die zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Vernichtung, Sehnsucht und Verzweiflung hin- und hergerissen sind. Mit der Deutschsprachigen Erstaufführung debütiert Lea Gockel mit dieser Arbeit an den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt.

Autor und Regisseur Wilke Weermann inszeniert am Theater Basel, Staatstheater Kassel, Schauspiel Stuttgart und am Deutschen Theater in Berlin. In seinem neuen Stück »Unheim«, das er in Frankfurt zur Uraufführung bringen wird, überträgt er die Topoi der schwarzen Romantik in eine Zeit der nahen Zukunft, spielt mit Genres und Ästhetiken von Science-Fiction, Manga und frühen Videospielen.

In seinem Stück »Die Goldberg-Variationen« aus dem Jahre 1941 verknüpft George Tabori die biblische Schöpfungsgeschichte und die Christus-Passion mit einer Theaterprobe. Der georgische Regisseur Data Tavadze stellt sich mit der Inszenierung erstmals dem Frankfurter Publikum vor.

Anja Hillings Stück »Liberté oh no no no« ist ein Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt und sollte in der Spielzeit 2019/20 gezeigt werden. Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Uraufführung verschoben werden. Regisseur Sebastian Schug wird das Stück nun im Januar 2022 zur Premiere bringen.

Aus den Erfahrungen und Arbeitsbeziehungen des über drei Jahre angelegten kulturellen Bildungsprojekts »All Our Futures« entsteht in der Spielzeit 2021/22 das Open-Space-Projekt »SHARE!«. Die pandemischen Zeiten haben unser aller Leben in vielen Bereichen geprägt und verändert. Der Abstand zwischen den Menschen wurde zum Sicherheitsgarant, dennoch bewegte man sich keinesfalls sicher durch die Welt. Wir teilen Erfahrungen, ohne diese wirklich teilen zu können, eine Beteiligung blieb oft vollkommen aus. Gerade für Kinder, Jugendliche und deren Familien hat die Corona-Pandemie wie ein Kontrastmittel die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft sichtbar gemacht. An diesen Punkt knüpft das Projekt »SHARE!« an: »was können, was wollen, was müssen wir teilen, und wie?« sind Fragen und zugleich Leitfaden des Projekts. »SHARE!« soll Bühne für soziales und politisches Handeln werden und umgekehrt, den sozialen und politischen Raum zur Bühne erklären. »SHARE!« gestaltet Räume der Begegnung und des Austausches und verhandelt die Themen derer, die sich in ihnen bewegen: Jugendliche verschiedener Schulformen, unterschiedliche Generationen, Communities, Ensemblemitglieder des Schauspiel Frankfurt, Expert:innen der Stadtgesellschaft und Politker:innen. Es soll gesprochen, gespielt, musiziert, gegessen, gebaut und präsentiert werden. Das Bockenheimer Depot verwandelt sich im Juni/Juli 2022 in eine »Theatopia«.

JUNGES SCHAUSPIEL

Die Projekte und Workshops des Jugendclubs und das theaterpädagogische Programm des Jungen Schauspiel bleiben auch in der kommenden Spielzeit inklusiv und interkulturell.
Im »Stadtlabor« des Historischen Museums Frankfurt fragen sich Frankfurter:innen, welchen Spuren der NS-Zeit sie in ihrem Leben begegnen. Das Junge Schauspiel wurde eingeladen, sich mit einer diversen Gruppe Jugendlicher zu Aspekten dieser Ausstellung in Beziehung zu setzen und eine Performance mit eigenen Blickwinkeln für das Stadtlabor zu gestalten. Nach »Weiße Flecken« ist »Erinnern Verändern« die zweite Kooperation des Jungen Schauspiel mit dem Historischen Museum.

Jugendliche engagieren sich in queer-bunten Bewegungen für ein selbstbestimmtes sexuelles Verständnis, gehen bei Fridays for Future gegen den Klimawandel und der Black Lives Matter Bewegung gegen strukturellen Rassismus auf die Straße. Neue Formen des Self-Empowerment? Alte Formen mit neuen Leuten? Ein inklusives junges Ensemble ab 14 Jahren beschäftigt sich in »Am Leben bleiben« im Januar 2022 in den Kammerspielen genau mit diesen Fragen.

Das Stück »Was ich nicht weiß, macht mich heiß« entwickelt das Junge Schauspiel im Juni 2021 in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Frankfurt und ist Teil des dreiteiligen Programms mit dem Titel »Young & Expert«.
Der zweite Teil des Projekts zum Themenschwerpunkt »Antisemitismus/Rassismus« war in 2020/21 pandemiebedingt nicht umsetzbar. In »Innenansichten« werden Jugendliche nun in der neuen Spielzeit die Produktionsprozesse von drei Inszenierungen der Spielzeit 2021/22 untersuchen, die unter[1]schiedliche inhaltliche Setzungen und künstlerische Zugänge zu Fragen des politischen Handelns bieten. Sie begleiten Konzeptionsgespräche, arbeiten in Workshops mit den Regisseur:innen und entwickeln künstlerische Perspektiven, die sie als performative Formate für Einführungen zu den Inszenierungen zur Verfügung stellen.

Auf der Grundlage dieser beiden »Young & Expert«-Projekte erarbeitet Regina Wenig im Februar 2022 ein Stück, das als Klassenzimmerstück mit dem Studiojahr Schauspiel inszeniert wird.

Im »Jugendclub«, der inzwischen über 100 Mitglieder zählt, gibt es unterschiedliche Projekte und Programme für alle theaterbegeisterten Menschen zwischen 14 und 25 Jahren: ob durch Gespräche mit Theaterschaffenden, offene Schauspieltrainings, Workshops, in verschiedenen Labs oder im Open Stage für eigene Performances.

Vieles, was in diesem Jahr in unterschiedlichen Konstellationen mit unterschiedlichen Jugendlichen und unterschiedlichen Formaten entsteht, wird in dieser Spielzeit öffentlich geteilt werden und in »SHARE!«, dem eigens vom Schauspiel geschaffenen Open-Space-Projekt, einfließen.

STUDIOJAHR SCHAUSPIEL

2017 startete die Kooperation von Schauspiel Frankfurt und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit dem »Studiojahr Schauspiel«, um angehenden Schauspieler:innen eine praxisnahe Ausbildung zu ermöglichen. In dieser Spielzeit stehen acht junge Spieler:innen gemeinsam mit den erfahrenen Kolleg:innen des Schauspiel Frankfurt auf der Bühne und ergänzen den Spielplan des Schauspiel Frankfurt auch mit eigenen Formaten – den Klassenzimmerstücken – die jeweils in der Box Premiere feiern und von Schulklassen anschließend gebucht werden können.

In »Im Herzen tickt eine Bombe« erzählt der preisgekrönte libanesisch-kanadische Autor Wajdi Mouawad von einem jungen Mann, dessen Erfahrungen sich in vielen Biografien wiederholt: Flucht, Migration, Kriege.

Jugendliche Expert:innen haben sich in der vergangenen Spielzeit im Projekt »Young&Expert« mit dem Thema »Neuer Antisemitismus in Deutschland« auseinandergesetzt. Ihnen begegnet die Autorin und Regisseurin Regina Wenig und entwickelt aus dieser Begegnung ein vielstimmiges Porträt Jugendlicher mit dem Titel »Die Zeit, die Stadt und wir«.

In den Kammerspielen entsteht mit »Power« von Verena Güntner in der Regie von Markolf Naujoks die Ensembleproduktion des diesjährigen »Studiojahr Schauspiel«.



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