Vorsprung Frankfurt - Audiowalk zu den „Völkerschauen" im Zoo

Audiowalk zu den „Völkerschauen" im Zoo

Unterhaltung
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Katja Kämmerer und Jan Deck vom Frankfurter Performancelabel profikollektion haben sich mit der Geschichte sogenannter Völkerschauen beschäftigt und einen Audiowalk durch den Frankfurter Zoo konzipiert.

Das Projekt wird vom Kulturamt der Stadt Frankfurt mit 20.000 Euro gefördert. Am Samstag, 2. Juli, startet die kleine Reihe von drei Terminen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden vor allem in Europa und den USA Menschen in Zoos ausgestellt, um vermeintlich andere Völker zu präsentieren. Zwischen 1878 und 1931 waren solche Veranstaltungen auch in Frankfurt zu sehen, die Meisten im Zoologischen Garten. „Zur über 160-jährigen Bestehen des Frankfurter Zoos gehören auch die zutiefst verstörenden Völkerschauen. Diese Ausstellungen, die Menschen als exotische Objekte erniedrigend zur Schau stellten, fanden im Zeitalter des Kolonialismus vielerorts statt, auch in Zoos – eine durch die offensichtliche Parallele zu den präsentierten Tieren besonders menschenverachtende Praxis", sagt die für den Zoo zuständige Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig. „Es ist ein eher unbekanntes Kapitel in der Geschichte unseres Zoos, dem sich das Performancelabel profikollektion mit dieser künstlerischen Intervention erstmalig annimmt. Wir haben uns bewusst für die Förderung dieses Projekts entschieden. Es ersetzt aber nicht die wissenschaftliche Aufarbeitung, der wir uns stellen müssen und die zwingend erforderlich ist. Das sind wir nicht nur den Familien und ihren Angehörigen schuldig! Eine Auseinandersetzung ist auch deshalb besonders wichtig, weil rassistische Stereotype und Vorurteile, die zur Zeit der sogenannten Völkerschauen gebildet wurden, bis heute fortwirken", erklärt Hartwig.

Es waren zumeist Unternehmer wie der Tierhändler Carl Hagenbeck, die als Veranstalter der Völkerschauen auftraten und diese an attraktiven Veranstaltungsorten wie Zoos oder Museen ausrichteten. Hagenbeck begann 1874 damit, Menschen aus „seinen Tierfanggebieten" zu engagieren und sie gemeinsam mit ihren Alltagsgegenständen sowie den gefangenen Tieren nach Europa zu bringen. Es ist dokumentiert, dass Arbeitsverträge abgeschlossen und auch Löhne gezahlt wurden. Allerdings ist anzunehmen, dass die Mehrzahl der Angeworbenen kaum in der Lage war, die Verträge zu lesen und zu deuten. Belegt ist, dass die Tourneen für manche in der Katastrophe endeten, so etwa für eine achtköpfige Gruppe von Labrador-Inuit. Sie erkrankten 1881 nach ihrem Aufenthalt in Frankfurt an Pocken und starben. Selbst für den Fall, dass die Reise nach Europa freiwillig angetreten wurde, ist doch davon auszugehen, dass die Vorführungen des Alltags- und Familienlebens oftmals die Grenzen zur Demütigung überschritten. Auch dürfte klar sein, dass die lange Abwesenheit von Zuhause, das fremde Klima, die permanente Öffentlichkeit und etliche Faktoren mehr äußerst belastend gewesen sein müssen.

Das Team rund um das Performancelabel profikollektion produziert seit 2008 interdisziplinäre Performances und erforscht seit 2016 künstlerisch historische Orte in Frankfurt: „Wir haben zum Thema ‚Völkerschau' recherchiert und uns auf diejenigen konzentriert, die in Frankfurt zu sehen waren. Dabei haben wir vor allem vier ausführlicher behandelt, nämlich die ‚Völkerschauen' mit sogenannten Eskimos aus Labrador von 1880, die Dahomey-Schau von 1891, die Samoa-Schauen zwischen 1896 und 1910 und die Zurschaustellung sogenannter Südsee-Insulaner 1931 ein paar weitere werden genannt. Von Anfang an war uns wichtig, keine Bilder von ausgestellten Personen zu zeigen, um den kolonialen Blick auf die ausgestellten Menschen nicht zu reproduzieren. Dennoch wird es viel um den Blick auf die Inszenierung von Menschen und Natur in den ‚Völkerschauen' gehen. Das Publikum wird beim Audiowalk einzeln durch verschiedene Stationen im Zoo geführt und hört eine Collage aus eingesprochenem Text, Sound und den Stimmen der von uns interviewten Expert*innen."

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts dienten die Schauen zunehmend dazu, Werbung für den Erwerb und die Ausweitung von Kolonien zu machen und imperialistische Ansprüche zu rechtfertigen. Dies lässt sich auch an dem Material erkennen, das in den Archiven der Stadt vor allem in Form von Bildmaterial wie Plakaten und Ankündigungen sowie Zeitungsartikeln lagert. Zoodirektorin Christina Geiger sagt: „Der Zoo und auch die Zoologische Gesellschaft Frankfurt, die bis 1915 noch Betreiberin des Zoos war, sehen in diesem Zusammenhang ihre Verantwortung, die Geschichte der ‚Völkerschauen' angemessen aufzuarbeiten und aktiv einen Beitrag zur Antirassismusdebatte zu leisten. Wir begrüßen die Initiative von profikollektion, das Thema ‚Völkerschauen' aufzugreifen und haben unser Gelände gerne für die Durchführung der Audiowalks zur Verfügung gestellt. Die künstlerische Intervention ersetzt aber nicht eine wissenschaftliche Bearbeitung des Themas durch unabhängige Expertinnen und Experten – hier gilt es andere Wege zu gehen und den notwendigen Prozess für eine professionelle Aufarbeitung einzuleiten." Die Audiowalks finden am Samstag, 2., Sonntag, 3., und Samstag, 9. Juli, zwischen 12 und 17 Uhr im Zoo statt. Interessierte können über profikollektion.de einen Walk mit einer Präferenz für ein mögliches Zeitfenster buchen. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Spende ist willkommen.



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