Vorsprung Frankfurt - Ein Musiker berichtet, wie Corona sein Leben veränderte

Ein Musiker berichtet, wie Corona sein Leben veränderte

Unterhaltung
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Eigentlich sollte für Max Brüderl im November 2019 ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Denn der studierte Jazzmusiker und Instrumentalpädagoge wollte sich nach sechsjährigem Studienaufenthalt in Osnabrück und Dresden in seiner Wahlheimat Frankfurt als Musiker und Schlagzeuglehrer etablieren und dabei an alte Kontakte und bestehende Netzwerke anknüpfen.

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Doch ein Jahr später führt der gebürtige Stuttgarter gewissermaßen ein Leben im Wartestand. „Ich habe mich gut in Frankfurt eingelebt. Hier habe ich mich schon von 2010 bis 2013 sehr wohl gefühlt. Aber gerade als es mit dem Unterricht der ersten Schüler losging, wurde ich im Februar direkt ausgebremst. Die Musikschulen hatten einen Anmeldestopp und Konzerte fanden auch nicht mehr statt“, erinnert sich Brüderl an den ersten Lockdown im Frühjahr. Zwar habe er seinen Schlagzeugunterricht online fortgeführt. „Für geübte Schüler ist das zur Überbrückung schon okay, auch für Fortgeschrittene sicher eine gute Ergänzung. Aber für Anfänger und Kinder ist dieses Format äußerst schwierig, weil sich die räumliche Trennung schwer kompensieren lässt“, lautet das Fazit des 32-jährigen Jazzdrummers.

Aus dem einsamen Frühjahr wurde ein langer Sommer ohne Auftritte und mit wenig Unterricht. Brüderl profitierte in dieser Zeit davon, dass er von Haus aus ein sehr sparsam und nachhaltig lebender Mensch ist. Auch der Ausdauersport, seine zweite große Leidenschaft neben der Musik, half dem passionierten Marathonläufer – privat wie beruflich: „Wenn ich beruflich nur auf eine Karte setzen würde, wäre meine Situation weitaus prekärer“, erklärt der 32-Jährige, der nebenher als Aushilfe in einem Laufshop sowie als Produktexperte für eine Laufschuhmarke jobbt. „Insofern war das schon positiv, dass ich von vornherein vier verschiedene Standbeine habe.“

Dennoch: „Während des ersten Lockdowns hatte ich zunächst schlimme Existenzängste. All meine Pläne, hier wieder Fuß zu fassen, waren über Nacht durchkreuzt“, sagt Brüderl. Doch relativ schnell habe sich eine gewisse Gelassenheit eingestellt, „weil mir bewusst wurde, dass die Maßnahmen zeitlich begrenzt sind und ich nicht alleine mit dieser Situation konfrontiert bin.“ Diese Erkenntnis half Brüderl, der neuen Lebenswirklichkeit auch positive Aspekte abzugewinnen. „Mir hat als Mensch die Ruhe sehr gut getan – ich habe mir eine neue Routine durch Meditation, Sport und tägliches Üben geschaffen“, erzählt der Musiker. Dieser strikte Tagesablauf habe ihm geholfen, sich auf die wesentlichen Dinge zu besinnen und die Produktion seines Debut-Albums voranzutreiben.

Gefördert vom städtischen Kulturamt und einer privaten Crowdfunding-Kampagne ist der Musiker täglich in seinen Proberaum in Griesheim gefahren und hat nebenher mit befreundeten Musikern die Songs für sein Album eingespielt. „Eigentlich hätte ich im Juni auf Tour gehen wollen, um mich zunächst mit der Band einzuspielen. Stattdessen habe ich mich mit den einzelnen Musikern im Studio getroffen und die Lieder nacheinander eingespielt“, sagt der Drummer.

Die städtische Förderung bezeichnet Brüderl als gute Maßnahme: „Auch wenn es nur 1000 Euro waren, so war das eine sehr direkte und unbürokratische Hilfe.“ Andere Förderverfahren, die im Zuge der Coronapandemie aufgelegt wurden, hätten den Nachteil, dass Solo-Selbständige oder Kreative „nicht oder unzureichend berücksichtigt“ würden.

Bestärkt von den Erfahrungen, die er im Frühjahr und Sommer machte, reagiert Max Brüderl mit großem Verständnis auf die erneuten Einschränkungen und den bevorstehenden Corona-Winter. „Die Realität ist, dass wir Jazzmusiker ohnehin zu guten Teilen vom Unterricht leben und diesen fortsetzen können“, sagt er. Bei vielen privaten Gesprächen sei er auf eine breite Akzeptanz der beschlossenen Maßnahmen gestoßen. So herrsche weniger Wut oder Ärger vor, sondern eher Bedrücktheit: „Wenn man seinen Beruf nicht ausüben kann und absolute Ungewissheit herrscht, wann es wieder weitergeht, führt das zwangsläufig zu Frust. Kunst und Kultur sind an ein Publikum adressiert und nicht für einen selbst gemacht“, fasst der Musiker zusammen. Ihm selbst fehle vor allem der Raum für persönlichen Begegnungen nach einem Konzert. Das zähle für ihn zu den schönsten Aspekten seines Berufs.

Bis Max Brüderl wieder vor Publikum auf der Bühne steht, wird es wohl noch einige Monate dauern. Bis dahin stellt er sich anderen Herausforderungen: Erst am vorigen Wochenende ist er 55 Kilometer quer durch Frankfurt gejoggt, um in 5,5 Stunden alle 24 Mainbrücken zu überqueren. Sport und innere Einkehr sind sein Rezept, um trotz aller Belastungen einen kühlen Kopf zu bewahren.

Was ihn umso mehr ärgere, seien jene Leute, die im Sommer „ihr Ding“ gemacht, in Urlaub gefahren seien und groß gefeiert hätten. Dieses Verhalten habe zwar nicht zwangsläufig zur jetzigen Situation geführt: „Ich beobachte aber, dass Menschen, die sich wie ich über Jahre bewusst in Verzicht üben, von Natur aus eher vorsichtig agieren. Jene, die von der Pandemie wirtschaftlich weniger stark betroffen sind, sind in meiner Wahrnehmung oft diejenigen, die sich stärker über die jetzigen Maßnahmen beklagen und diese nicht befolgen“, moniert Brüderl und stellt abschließend fest: „Diese Pandemie hat sich keiner von uns ausgesucht – wir alle zahlen aber den Preis, der umso höher ist, je weniger sich an die Regeln gehalten wird.“

Text: Mirco Overländer

Fotos: Schlagzeuger Max Brüderl in seinem Proberaum Fotos: Holger Menzel



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