Vorsprung Frankfurt - Wenn die Topfkrämer kamen

Wenn die Topfkrämer kamen

Unterhaltung
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„Da braust die Achterbahn zu Tal, man lässt sich auf den Kettenfliegern schaukeln und findet noch mancherlei andere Unterhaltung.“ So klang es 1941, als mitten im Krieg in Frankfurt Dippemess gefeiert wurde. Break Dancer, Alpina-Bahn und Riesenschaukel sind es auch heute noch, die Besucherinnen und Besucher zweimal im Jahr zum ältesten Frankfurter Volksfest locken. Das war nicht immer so. In ihren mittelalterlichen Anfängen waren es die „Dippe“, also Geschirr und Keramik, die die Gäste anzogen und dem Fest später seinen Namen gaben.

Töpfer aus dem Seligenstädter und Dieburger Raum oder der südlichen Wetterau, später auch die Hersteller des mit grau-blauer Salzglasur verzierten Steinguts aus dem Kannebäckerland – denen wir die typischen Frankfurter Bembel verdanken – zogen zur Frühjahrs- und Herbstmesse an den Main. Letztere ist seit 1240 schriftlich belegt durch ein Messeprivileg Kaiser Friedrichs II. Ab dem Jahr 1330 erlaubte Ludwig von Bayern den Frankfurtern das Abhalten einer zweiten Messe in der Fastenzeit.

Neben den zahllosen Ständen mit Leder, Stoffen, Edelmetallen, Wein und anderen Handelswaren aus aller Welt verkauften die „Krugmänner“ und „Topfkrämer“ ihre Geschirre an der Metzgerpforte, auf dem Liebfrauenberg oder bauten ihre „Boutiquen“ am Main auf, was dem Dippemarkt den Namen „Maamess“ einbrachte. Sie kamen im Herbst, „wenn die Mägde wechselten und das von ihnen im Laufe des Jahres zerschlagene Geschirr ersetzt werden musste. Und im Frühjahr, wenn die Hausfrauen ihren Jahresbedarf an Milchdippcher, Kaffeekannen und sonstigem Steinzeug preiswert und unterhaltsam einkaufen wollten und die Kinder einen Hahn aus Ton bekamen, dem sie durchdringende Töne entlockten“, erinnerte man in den 1970er Jahren an das Messetreiben am Main.


Im Frühjahr und Herbst zwischen Leonhardskirche und Fahrgasse

Schon immer zogen die Messen auch Gaukler, Akrobaten, Seiltänzer und Komödianten an, die am „Nickelchestag“, dem letzten Tag der Messe, an dem das letzte Geld großzügig ausgegeben wurde, mit reicher Beute die Stadt verließen. Nach und nach gesellten sich zur mittelalterlichen Messe Jahrmarktbuden und Schausteller. Bald wurden diese „Meßsehenswürdigkeiten“ vom eigentlichen Messegeschehen getrennt, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer stärker an Bedeutung verlor und schließlich zu einer eher regionalen Main- und Dippemesse wurde, die im Frühjahr und Herbst zwischen Leonhardskirche und Fahrgasse ihre Stände errichtete.

Der sogenannte „Juxplatz“ fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Bleichgärten östlich der Konstablerwache sein Domizil. Seit der Entstehung der „Neuen Zeil“ errichteten die Schaustellerinnen und Schausteller dann ihre Hütten auf dem Platz des Landwirtschaftlichen Vereins in der Ostendstraße, allerdings zum Leidwesen der Anwohner. Diese befürchteten, die gesamte Messe würde in ihre Gegend verlegt und machten 1890, weil sie sich vom nächtlichen Lärm gestört fühlten, eine Eingabe an die Stadt, dass die „Meßsehenswürdigkeiten“ in Zukunft nicht mehr geduldet werden sollten. Sie scheiterten offenbar, schließlich brachten Schießbuden, Karussells & Co. der Stadt nicht zu unterschätzende Einnahmen. Im Jahr 1930, während der Weltwirtschaftskrise, lagen diese bei 50.000 Reichsmark plus 10.000 Reichsmark Vergnügungssteuer. Und die Besucherinnen und Besucher liebten ihren Juxplatz. „Jedenfalls die Fahrt ins Land der Träume lohnt sich. Das Leben ist ja auch nur eine Illusion. Aber die Illusionen, die wir bewusst genießen, sind doch die schönsten“, sinnierte ein Journalist damals nach seinem Besuch.


Von Hibb nach Dribb de Bach


Auch der Standort des Dippemarktes wechselte, weil das Ufer neu angelegt werden sollte, von Hibb nach Dribb de Bach, auf die südliche Mainseite. 1927 zog er sich vom Eisernen Steg zur Alten Brücke auf der Sachsenhäuser Seite hin. Auch damals schon gesellten sich zu den „Dippe“ Leckereien wie gebrannte Mandeln und Lebkuchenherzen. Die Frankfurter setzten sich vergeblich dafür ein, den Markt an den historischen Ort am nördlichen Mainufer und auf den Samstagsberg zurückkehren zu lassen, nicht zuletzt, um wieder Leben in die damals schmuddelige und kaum noch frequentierte Altstadt zu bringen. Es gab erste Überlegungen, die Verkaufs- und die Juxmesse zusammenzulegen.

Im Kriegsjahr 1941 wurde dies Wirklichkeit. Damals brachte eine Not-Dippemess unter dem Titel „Ostermarkt“ vor der Großmarkthalle etwas Licht und Heiterkeit in die trübe Zeit. Trotz Kriegsnot gab es dort einiges zu kaufen: „Vom Holzkochlöffel bis zum Wäschezuber, von der Milchkanne über den ‚bunten Teller‘ bis zum Kochtopf, zur Kuchenform, zum ‚Dippche‘ aus Urberach, aus dem Schwarzwald oder aus Bunzlau reichte das Warenangebot, und das ist, angesichts von Lebensmittelkarten und Textilmarken immerhin ganz beachtlich gewesen.“ Sogar Zuckerstände habe es gegeben, dazu auf einem weiteren Platz Fahrgeschäfte wie eine Achterbahn, berichten die Zeitungen. Nur war die Herrlichkeit wegen der vorgeschriebenen Luftschutzmaßnahmen schon mit Einbruch der Dunkelheit vorbei.
Nach 30 Jahren Wiedereinzug auf den Römerberg

Der Start nach dem Krieg war holprig. Noch immer standen die Schausteller mit ihren Fahrgeschäften an der Ostendstraße, zumindest, bis auf dem Gelände Ende der 1950er Jahre die Zentralfeuerwache gebaut wurde. Ein erster Versuch, die Dippemess nach der Räumung der Trümmer wieder auf den Römer zu bringen scheiterte. Erst im Frühjahr 1957 gelang der Umzug. Zunächst standen die „Große Freiheit“, der Autoscooter, die Gebirgsachterbahn und eine Benzinautobahn, auf der es über Berg und Tal ging, noch an der Ostendstraße. Allerdings nur bis zum 25. April. Nach Ende der Karwoche, so hatten die Kirchen es erlaubt, durften sie für weitere sechs Tage auf den durch die Bombardierungen entstandenen freien Platz zwischen Dom und Römer ziehen. Das erste Mal seit rund 30 Jahren hielt die Dippemess, inklusive der Stände für Dippche und Deckelche, Wiedereinzug auf den Römerberg. Und dort sollte sie trotz Platzmangels und der Unebenheit des Geländes erst einmal bleiben. Die Beschicker mussten ihre Wohnwagen am Mainufer aufstellen und forderten immer wieder ein größeres Gelände. Als 1963 die größte Achterbahn Deutschlands im Herzen der Stadt Station machte, mussten etliche andere Stände dafür weichen. Schon damals bemerkten die Journalisten, dass der Dippe-Markt durch die Menge an Fahrgeschäften in den Hintergrund geraten würde. Hinzu kam ein veränderter Bedarf, denn die Dippemess war nun auch nicht mehr die einzige Gelegenheit im Jahr, an Dippe, Bembel und Keramik zu kommen. Wenn es möglich ist, jeden Tag im Jahr im Laden Dippe zu kaufen, warum sollte man sie dann über den Festplatz tragen.


Herbst 1968 ging es auf den Festplatz am Ostpark


Bis in den Herbst 1968, als zwischen Dom und Römer der U-Bahn-Bau begann, sollte es dauern, dann war das Gelände der Trümmerverwertungsgesellschaft gegenüber dem Ostpark, der sogenannte „Scherbelberg“, endlich geräumt und konnte zum heutigen Festplatz umgebaut werden. Statt zuvor 30 machten nun wesentlich mehr Schaustellerinnen und Schausteller in Frankfurt Station. Das Volksfest wurde attraktiver und moderner, statt auf der Benzinautobahn über Berg und Tal ging es nun mit der Apollo 11 über Mondlandschaften. Erstmals wurde es mit Feuerwerken eingeleitet und verabschiedet. Die Dippemess zu eröffnen war bürgermeisterliche Pflicht. Den ersten Rundgang und den ersten Festzeltbesuch machten schon damals die Honoratioren der Stadt. Zur Premiere 1968 empfing der Oberbürgermeister die Schausteller sogar im Kaisersaal und zog anschließend mit Fanfarengeschmetter zum Festplatz. „OB Brundert im offenen Opel-Zweisitzer, Jahrgang 1924 und Bürgermeister Fay in der Kutsche des Fassenachtsprinzen mittenmang. Dieser Zug wirkte wie der Rattenfänger von Hameln und zog eine riesige Menschenmenge hinter sich her“, schrieb die Frankfurter Rundschau und schätzte, dass alleine zur Eröffnung 20.000 Besucher kamen.


Die Zahl der Gäste stieg rasant und überschritt die Millionengrenze


Mit der technischen Entwicklung wurden auch die Fahrgeschäfte spektakulärer. Traditionelle Attraktionen wie die Schiffschaukel, das Riesenrad oder die Geisterbahn finden bis heute aber ebenfalls Platz auf der Dippemess. In den 1970ern machten sogar die todesmutigen Motorradfahrer an der Steilwand auf dem Festplatz Station. Im Festzelt wurde, dem Zeitgeist entsprechend, das „Bunny des Jahres“ gekürt. Mit 350.000 Besucherinnen und Besuchern stellte die Frühjahrs-Dippemess 1971 einen ersten Besucherrekord auf. Diese Zahl stieg in den nachfolgenden Jahrzehnten rasant an und überschritt die Millionengrenze. Immer neue Attraktionen, wie die größte transportable Wildwasserbahn mit 400.000 Litern Wasser, eine Achterbahn mit Dreier- und einige Jahre später sogar mit Vierer-Looping, zogen immer mehr Gäste an und führten dazu, dass die Frühjahrs-Dippemess 1987 um eine weitere Woche auf insgesamt dreieinhalb Wochen verlängert wurde. Ab 1993 sorgte der neue U-Bahn-Anschluss dafür, dass die jahrelangen Verkehrsprobleme rund um den Festplatz etwas entschärft wurden und noch mehr Volksfestfans den Weg auf den Festplatz fanden. Erst seit den 2000er Jahren hat auch die Dippemess mit der Konkurrenz der immer vielfältiger werdenden Vergnügungsangebote zu kämpfen. Sie reagierte darauf, indem sie das Konzept der Herbstmesse umstellte. Während im Frühjahr weiter spektakuläre Fahrgeschäfte locken, steht sie im September für eher traditionellen Jahrmarkt mit Familienangeboten, Kettenkarussell, Losbuden und Schießständen. Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause läuft die diesjährige Dippemess noch bis 1. Mai und wartet auf wagemutige Adrenalinjunkies, kleine Karussellfans und große Naschkatzen.


Text: Sabine Börchers
Foto: Der Bembel, Das traditionelle Symbol der Dippemess, Copyright: visitfrankfurt, Foto: Holger Ullmann



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